Grafik: DIW Berlin 2023
16.12.2023  Pressemeldung Alle News von DIW Berlin

Haushaltskürzungen verpassen deutscher Wirtschaft weiteren Dämpfer

DIW Berlin revidiert Konjunkturprognose für 2024 und 2025 nach unten - Wachstum von lediglich 0,6 und 1,0 Prozent erwartet – Kürzungen nach Verfassungsgerichtsurteil zu Klima- und Transformationsfonds belasten Konjunktur

Die deutsche Wirtschaft findet nur sehr mühsam aus der Schwächephase heraus – auch die Einigung im Haushaltsstreit liefert keine positiven Impulse. Das geht aus der neuesten Konjunkturprognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor. Demnach fiel der private Konsum als Konjunkturtreiber entgegen den ursprünglichen Erwartungen in den vergangenen Monaten weitgehend aus – und zwar weil trotz erheblich gestiegener Löhne und der deutlich verlangsamten Inflation die realen Einkommen bislang nur leicht gestiegen sind. Gleichzeitig füllen die Verbraucher*innen angesichts anhaltend ungewisser Zeiten aufgebrauchte finanzielle Reserven zunächst wieder auf, statt das Geld direkt wieder auszugeben. Ebenfalls negativ wirkten sich zuletzt eine schleppende Investitionstätigkeit und eine gedämpfte Auslandsnachfrage aus.

Ein Rückschlag droht der deutschen Wirtschaft nach Einschätzung der DIW-Konjunkturforscher*innen zudem infolge der geplanten Haushaltskonsolidierung nach dem Karlsruher Urteil. Darin wurde die Umwidmung von Corona-Mitteln für den Klima- und Transformationsfonds für unzulässig erklärt, was ein 60-Milliarden-Loch in den Bundeshaushalt reißt. Am Mittwoch wurde zwar ein Durchbruch im Haushaltsstreit der Ampel bekannt, allerdings müssen die geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt 2024 noch konkretisiert und verabschiedet werden. Dies birgt weitere Unsicherheiten. „Sicher geglaubte Investitionsvorhaben stehen jetzt zur Disposition, Fördergelder können womöglich nicht fließen“, so die Co-Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik im DIW Berlin, Geraldine Dany-Knedlik.

Deutsche Wirtschaft schlittert in ungewisse Zukunft

Für dieses Jahr prognostiziert das DIW Berlin einen Wirtschaftsrückgang von 0,3 Prozent. In den beiden kommenden Jahren dürfte es dann mit 0,6 und 1,0 Prozent langsamer bergauf gehen als noch vor drei Monaten erwartet. Diese Prognose berücksichtigt, dass die Bundesregierung für die beiden kommenden Jahre Einsparungen vornehmen und nicht alle in Aussicht gestellten oder versprochenen Ausgaben tätigen wird. Diese Kürzungen und die Unsicherheiten werden das Wachstum 2024 und 2025 voraussichtlich um 0,3 beziehungsweise 0,2 Prozentpunkte drücken.

Positive Impulse für die Konjunktur im nächsten und übernächsten Jahr dürften hingegen von einer weiter sinkenden Inflationsrate, kräftigen Lohnerhöhungen und damit steigenden Reallöhnen ausgehen. Die Sparquote der Haushalte wird voraussichtlich langsam zurückgehen und das Geld wieder etwas lockerer sitzen: Es wird wieder mehr, aber immer noch zurückhaltender als vor der Corona-Pandemie konsumiert.

Zudem werden wohl rückläufige Investitionen das Wachstum in der ersten Hälfte des kommenden Jahres dämpfen – nicht zuletzt infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Auch die Geldpolitik der EZB ist sehr restriktiv und wird dies wohl auch noch einige Zeit bleiben. „Erst nach der für den Sommer erwarteten Zinswende dürfte wieder graduell mehr investiert werden“, erläutert Timm Bönke, Co-Leiter der DIW-Konjunkturforschung. „Auch der Export ist kein großer Lichtblick, die internationale Nachfrage schwächelt weiter.“ Trotzdem dürften die Ausfuhren im kommenden Jahr mit etwa 0,2 Prozentpunkten zur Expansionsdynamik beitragen, was vor allem auf geschwächte Importe von Investitionsgütern zurückzuführen ist.

Weltwirtschaft wächst robust, Euroraum hinkt hinterher

Die Weltwirtschaft zeigt sich weiterhin robust. Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere die USA, haben zuletzt ebenso solide zugelegt wie die Schwellenländer. Nur im Euroraum und im Vereinigten Königreich ist die Wirtschaftsleistung noch schwach. Dort werden aber die rückläufigen Inflationsraten zunehmend die Reallöhne stärken, was ab kommendem Jahr die Kaufkraft stützen dürfte. In den Schwellenländern schwächelt lediglich China. Die dortigen finanzpolitischen Maßnahmen dürften die schwelenden Probleme im Immobiliensektor aber etwas mildern und die Konjunktur stützen. Mit der dennoch nur allmählich anziehenden Konjunktur in China, der graduellen Erholung in Europa und einer sich abkühlenden US-Wirtschaft fällt das weltwirtschaftliche Wachstum im kommenden Jahr mit 3,7 Prozent etwas geringer aus. Mit den vielerorts ab Frühsommer erwarteten Zinswenden und einer stärkeren Exportnachfrage wird die Weltwirtschaft im Laufe des Jahres 2024 Fahrt aufnehmen und im Jahr 2025 um 3,9 Prozent wachsen. 

DIW-Präsident Fratzscher: Finanzpolitischer Kurswechsel unumgänglich

Damit die deutsche Wirtschaft wieder an Dynamik gewinnen kann, müssen Unsicherheiten schnellstmöglich ausgeräumt werden. Aktuell bedeutet das DIW-Präsident Marcel Fratzscher zufolge, dass die Bundesregierung einen finanzpolitischen Kurswechsel vornehmen und die Prioritäten justieren muss. „Die Bundesregierung braucht einen klaren wirtschaftspolitischen Kompass. Die oberste Priorität muss bei öffentlichen Investitionen liegen, damit die Transformation der Wirtschaft gelingen kann. Die Einigung zum Haushalt 2024 ist ein fauler Kompromiss und eine große verpasste Chance, Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen.“

Fratzscher spricht sich daher für ein Sondervermögen Klimaschutz in Höhe von 100 Milliarden Euro aus, das fest in der Verfassung verankert und somit von der Schuldenbremse ausgenommen ist – vergleichbar mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr. Deutschland benötige vor allem in den kommenden Jahren deutlich höhere öffentliche und private Investitionen in die ökologische und digitale Transformation, auch damit die Wettbewerbsfähigkeit gewahrt und Arbeitsplätze in Deutschland verbleiben könnten. Zudem empfiehlt Fratzscher eine grundlegende Steuerreform. „Priorität muss der Abbau von klimaschädlichen Subventionen haben, die in Deutschland jährlich 60 Milliarden Euro betragen. Außerdem sollten Privilegien wie bei der Erbschaftssteuer und Immobiliengewinnen abgebaut werden.“

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