28.04.2023  Pressemeldung Alle News von QUERSCHIESSER

Der Viessmann-Carrier-Deal aus Querschiesser-Sicht

Hans-Arno Kloep, Geschäftsführer der Querschiesser Unternehmensberatung erklärt in einem Interview mit dem SHK-Journal, wie er den Viessmann-Carrier-Deal sieht.

SHK-Journal: Herr Kloep, hat die Familie Viessmann mit dem Verkauf an Carrier nur Kasse gemacht, oder ist es wirklich eine unternehmerisch sinnvolle Maßnahme?

Kloep: Der Viessmann-Carrier-Deal ist ein brillanter Schachzug der Familie Viessmann. Auch wenn man bei 11 Mrd. Euro Kaufpreis ein wenig Neid entwickelt, der Deal ist genial – für die Mitarbeiter, für die Marke und natürlich auch für die Inhaberfamilie. Da ziehe ich voll meinen Hut vor den Viessmann-Leuten. Chapeau! Man muss mächtig Mumm in den Knochen und Weitsicht im Kopf haben, wenn man nach 106 Jahren als Inhaberfamilie das stets lodernde Unternehmerego diszipliniert und das Unternehmen am oder kurz vor dem Maximalpunkt in eine neue Zukunft überführt.

SHK-Journal: Können Sie das genauer ausführen?

Kloep: Das Zauberwort heißt „Fixkostendegression“ oder in der Welt der Boston Consulting Group „Erfahrungskurveneffekte“. Gemeint ist, dass durch größere Produktionsvolumina die Produktpreise sinken, weil die Fixkosten auf eine größere Absatzmenge umgelegt werden können. Bruce Henderson, Gründer der BCG, hat noch darauf hingewiesen, dass dabei Lerngewinne zusätzliche wirtschaftliche Vorteile bieten. Wendet man dieses Modell auf den Markt der deutschen Heizungshersteller an, gilt: Bei fast allen großen deutschen Herstellern von Wärmeerzeugern, bis auf Stiebel Eltron, entspringt die Marktbedeutung immer aus dem großen Wissen und den großen Produktionsvorteilen bei fossilen Systemen. Der Durchbruch der Wärmepumpe als Wärmeerzeuger ist nun für diese Hersteller ein echter Paradigmenwandel. Um im Bild zu bleiben: Ein fleißiger und umsichtiger Heizer ist auf einer Dampflok unverzichtbar, auf der E-Lok ist er überflüssig. Die Größenklassenvorteile bei der Produktion von fossilen Wärmeerzeugern werden immer weniger wert, die Größenklassennachteile bei der Produktion von Wärmepumpen werden immer offensichtlicher.

Ich übertreibe nicht viel, wenn ich sage: Was in Europa von den fossilen Marktführern an Jahresvolumen bei Wärmepumpen produziert wird oder zukünftig produziert werden soll, fällt bei den asiatischen und amerikanischen Herstellern von Klimageräten an einem einzigen Tag vom Band. Bei einigen wichtigen und teuren Teilen, die eine Wärmepumpe mit einem Klimageräte gemein hat, sind die asiatischen und/oder amerikanischen Produktionen bis zu 200x größer als die europäischen Produktionen. Der oben zitierte Bruce Henderson hatte festgestellt, dass der Marktführer, wenn er doppelt so groß wie der Zweite ist, bei den Kosten einen relativen Vorteil von 20% hat. Wenn 2 zu 1 schon 20% bei den Kosten bringen, wie groß muss der Vorteil bei einer Relation 200 zu 1 sein?

Man darf oder muss vermuten, dass ein europäischer Wärmepumpenhersteller an seiner Wärmepumpe nur ein Drittel so viel verdient, wie sein asiatischer oder amerikanischer Kollege an seiner Wärmepumpe. Das Viessmann-Management hat nun vermutlich früh erkannt, dass das langfristig keine gesunde Relation ist und „auf die Knochen gehen“ wird, wenn der Wärmepumpenmarkt richtig Fahrt aufnimmt und der Preiswettbewerb richtig abgeht.            

SHK-Journal: Wie ist der Zeitpunkt der Transaktion zu bewerten?

Kloep: Der Termin ist perfekt! Eine solche Transaktion benötigt eine lange Vorbereitung. Es ist ja nicht so, dass man montags einen Krampf im Kopf bekommt und freitags seine Firma für 11Mrd € verkauft. Der Due Diligence Prozess hat sicherlich vor einem bis anderthalb Jahren begonnen. Vermutlich ist durch die Lieferkettenproblematik in den Jahren 2019 und 2020 das Thema der Produktionsgrößen bei Viessmann in den Fokus geraten. Als in den Jahren 2020 und 2021 dann die Wärmepumpe bei uns auch abging, lag das zukünftige Problem, für jeden, der hinsehen wollte, auf dem Tisch. Als dann Anfang 2022 die Eröffnungsbilanz von Minister Habeck kam, ein halbes Jahr später der kriegsbedingte Gas- und Ölengpass und aktuell das Brachial-GEG, war klar, dass die Tür für einen möglichen Abbruch des Merger-Projektes durch die Politik zugeschlagen worden war. Den Deal durchzuziehen, war seit Anfang des Jahres 2023 "alternativlos".

Meiner Einschätzung nach, konnte der Deal nicht vor 2022 passieren, weil das Risiko, dass die Wärmepumpe wie in den 80ern und Anfang des Jahrtausends wieder abstürzt, noch gegeben war. Erst Habeck hat den Weg und die Richtung betoniert. Der Deal konnte aber auch nicht viel später als jetzt passieren, weil sich die Asiaten, zum Beispiel Daikin und Samsung, spätestens seit der ISH in Stellung bringen. Die Vorbereitungen für den Highlander-Endkampf bei der Wärmepumpe laufen.

Was mir Respekt abnötigt, ist die große Klarheit, mit der sich die Familie Viessmann dieser Entwicklung gestellt hat. Die Geschichte der Fachschiene ist voll mit Beispielen, bei denen Inhaberfamilien und deren Patriarchen sich offensichtlichen Wahrheiten nicht stellen, dann den Absprung verpassen und später ihr Lebenswerk verramschen müssen. Wie gesagt: Chapeau! Das Timing war perfekt, zwei Jahre früher oder zwei Jahre später hätten die Familie Viessmann vermutlich ein Drittel des Kaufpreises gekostet.     

SHK-Journal: Und warum Carrier?

Kloep: Das kann ich Ihnen im Detail auch nicht sagen. Schaut man auf die Produktwelten, die Produktionsgrößen und die Vertriebsstrukturen scheint es tatsächlich so zu sein, dass Viessmann durch Carrier Zugriff auf neue Märkte und leistungsfähige Produktionen bekommt. Carrier bekommt im Gegenzug durch Viessmann einen hervorragenden Zugang zu den europäischen Märkten. Das ist auf dem Papier erst einmal eine eindeutige WIN-WIN-Situation. Es kommt darauf an, wie schnell sich die Produktwelten und Unternehmenskulturen konfliktfrei miteinander verweben.

SHK-Journal: Wie schnell wird der Deal die Branche ändern?

Kloep: Das hängt davon ab, wie schnell Viessmann auf die Produktionsvorteile von Carrier zugreifen kann und ob man die neuen Preis- und Lieferkettenvorteile dann in den Markt wirft. Wenn die beiden Partner clever waren, haben sie ihre Hausarbeiten bereits gemacht und müssen jetzt nur noch die passenden Projekte offiziell ausrollen. Carrier wird zuerst Viessmann günstig mit kritischen Wärmepumpenteilen versorgen, dann wird man irgendwann die Produktion gemeinsam optimieren. Bus zur nächsten ISH ist alles erledigt.

SHK-Journal: Es ist aber doch vereinbart, dass den deutschen Arbeitsplätzen nichts passiert?

Kloep: Die Tatsache allein, dass diese Vereinbarungen getroffen und erwähnt werden mussten, zeigt dass die beteiligten Parteien die Effizienzpotenziale des Mergers klar erkannt haben. Wenn die Stillhaltefristen um sind, wird es eventuell unbehaglich für die kleineren Produktionsstandorte - auf beiden Seiten. Dazu passt, dass Carrier nur die Climate Solutions von Viessmann übernimmt. Die Kühltechnik von Viessmann, die ja eigentlich zum Carrier-Sortiment wie die Faust aufs Auge passt, haben die wahrscheinlich direkt als „niedliche Manufaktur“ dankend abgelehnt.

SHK-Journal: In manchen Foren und auf den Homepages mancher Zeitungen wird Minister Habeck für den Viessmann-Carrier-Deal verantwortlich gemacht. Ist da was dran?

Kloep: Definitiv JA! Die Politik von Herrn Habeck und seinen grünen Staatssekretären war für die Branche mehrfach mittelstandsfeindlich und vernichtete die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Heizungsindustrie. Der krasse und ausnahmslose Wechsel von fossiler Technik auf Wärmepumpe, die mangelnde Bereitschaft Technologieoffenheit zuzulassen, die Fristverkürzung von Anfang 2025 auf Anfang 2024, Subventionen in einem völlig überhitzten Markt, usw., usw. hat sukzessive die Wissens-, Marktzugangs- und Größenklassenvorteile der deutschen Heizungshersteller erst relativiert und dann vernichtet. Der ausgeübte Druck hat allen deutschen Herstellern die Chance genommen, in einem geordneten evolutionären Anpassungsprozess substanziell die Ziele der Wärmewende zu erreichen. Habeck hat schlicht den deutschen Heizungsherstellern den Teppich drei Jahre zu früh unter den Füßen weggezogen und die asiatischen und amerikanischen Wettbewerber eingeladen, das reich gedeckte Buffet komplett abzuräumen. Was die dann auch tun.

Wenn sich Viessmann als nationaler Marktführer schon früh diesem absehbaren Fiasko entzieht, dürfen sich die Hersteller mit kleineren Marktanteilen darauf einstellen, dass es Pflastersteine regnen wird. Setzt man die Technikanteile in der Hausfeuerung auf die Arbeitsplätze um, stehen für die nächsten fünf Jahre ca. 20.000 Arbeitsplätze in der mittelständischen Heizungsindustrie im Feuer, die durch die Übermacht der ausländischen Anbieter bedrängt werden. Da kann Herr Habeck nach der Wärmepumpe sofort die Arbeitsplatzerhaltung im Mittelstand fördern.

Habecks Ankündigung, den Viessmann-Carrier-Deal in seinen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland überprüfen zu wollen, ist schon hart an der Grenze zur Farce und hat mindestens „Geschmäckle“. Habeck wird als Politiker wohl kaum zugeben, dass er es mal wieder überrissen hat. Erst vernichtet er mit dem Sanierungszwang das Vermögen der kleinen Leute, dann killt er nebenbei noch ihre Jobs. Der Herr Minister ist mit seinem ungebremsten Öko-Fundamentalismus eine frei kreisende Machete für den sozialen und wirtschaftlichen Mittelstand.

SHK-Journal: Wie geht es jetzt weiter?

Kloep: Viessmann hat klar gemacht, dass man daran glaubt, dass das aufkommende Wärmepumpengeschäft nur international und über die Größenklasse der Produktion gewonnen werden kann. Wer sich dieser Wahrnehmung anschließt, muss ebenfalls in neue Größenklassen in der Produktion aufsteigen - und zwar schnell. In Abhängigkeit der aktuellen und geplanten Produktionsvolumina bleiben als Strategieansätze nur (1) strategische Allianzen, (2) Zukäufe in Asien und/oder Amerika, (3) sich – wie Viessmann - übernehmen lassen oder (4) das Wärmepumpengeschäft aufgeben. Die Varianten (1) und (2) gehen nur, wenn man schon relativ groß ist und richtig viel Geld hat. Variante (3) ist auch größengebunden und für den Käufer nur sinnvoll, wenn der Gekaufte eine gewisse Marktbedeutung hat. Variante (4) ist die Option für alle Wärmepumpenhersteller, die zu klein für alles sind. Da würde dann in den nächsten zwei Jahren mehrfach das Sterbeglöckchen läuten.

SHK-Journal: Gibt es noch andere Wege, die die kleineren Hersteller nehmen können?

Kloep: Prinzipiell sind noch drei Optionen auf, entweder flieht man als Wärmepumpenhersteller in die technische Nische, oder man setzt darauf, dass aufgebaute Markteintritts- und Austrittsbarrieren wirken, oder hofft, dass sich die Wärmepumpe in ihrer Effizienz zum Desaster für den Endkunden entwickelt. Die Nische dürfte, wegen der rigiden Politik keine Technologieoffenheit zuzulassen, klein ausfallen. Die Marktbarrieren sind im Vertriebs über das Handwerk erkennbar, aber stehen noch nicht richtig. Das Scheitern der Wärmepumpe als akzeptierte und effiziente Massenlösung ist sicherlich noch eine Option, die sich aber erst Anfang 2026 klärt. In Summe ist die neue Lage für die kleineren Wärmepumpenhersteller kein prickelnder Champagner mehr.

SHK-Journal: Was erwarten Sie persönlich?

Kloep: Ich erwarte unter den Wärmepumpenherstellern einen brutalen Konzentrationsprozess, der recht zügig ablaufen wird. In fünf Jahren haben wir ein Oligopol von vier bis fünf Mega-Herstellern, die von einer kleinen Wolke von Spezialisten begleitet wird. Die Verteilung der Marktanteile wird pointierter als die Pareto-Verteilung sein. Wärmepumpe als Sortimentsergänzung bei einem SHK-Hersteller wird es nicht mehr geben.Und Viessmann wird vergleichsweise entspannt und profitabel dabei sein.

SHK-Journal: Und Ihr Schlusswort?

Kloep: Ein effizienter Markt lebt von der schöpferischen Zerstörung. Das Bessere sollte immer das Gute ablösen können. Eine Politik, die initial Subventionen benötigt, um erst einen rigiden technischen Wandel zu erzwingen, dann Subventionen benötigt, um dessen ökonomische Schäden für die Bevölkerung zu mildern und final Subventionen benötigen wird, um zukünftig die Vernichtung von Arbeitsplätzen zu kompensieren, hat einen tiefen, strukturellen Denkfehler. Es ist schade, dass sich Minister Habeck nicht durch die Fachleute beraten lässt. Es hätte viel Schaden von der Branche abgewendet werden können. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.

Aber … vielleicht erkenne ich auch das Geniale an Habecks Plan nicht. Die 20.000 Leute, die in den nächsten Jahren in der deutschen Wärmepumpenindustrie arbeitslos werden, könnten sich ja im Handwerk als Wärmepumpenmonteure bewerben.   

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